dhonau: mit heruntergezogenen socken


Montag, 13. April 2009


bildung als sozialer kriegsschauplatz
— zum ranicki-film


die reich-ranicki-verfilmung der gleichlautenden autobiographie MEIN LEBEN war wirklich gut; professionelle arbeit sowohl der regie wie der darsteller. dennoch hatte ich einen "nachgeschmack" zurückbehalten, was immer ein indikator ist dafür, das ganze noch einmal überdenken zu müssen. es ist nicht so, daß einen der film nicht erreichen würde. wie schon die autobiographie, die bei allen einwänden, die gegen den kritiker erhoben werden könnten, feinsinnig, reflektiert und gar nicht belehrend eine geschichte des ÜBERLEBENS IM HOLOCAUST darstellt. das thema, das omnipräsente subthema des buches ist BILDUNG.
das leben der von den nazis ins ghetto gepferchten juden wird in seiner organisation andeutungsweise entfaltet. in dieser KONZENTRATION einer volksgruppe sind menschen versammelt, die die deutsche bildung, die erziehung, das wissen, die kultur als musik und literatur verkörpern, in sich tragen, als sollte mit ihnen eine überfeinerung ausgesondert werden; zurückbleiben eine grobschlächtigkeit, ein bodenloser minderwertigkeitskomplex, der sich in einem einzigen perfekt verkörpert hat.
aber in dieser überlebensgeschichte wird die bildung (nämlich in dem wissen um die menschen selber, wie es etwa in den shakespeare-dramen versammelt ist), wenn sie nämlich ihres bildungsbürgerlichen gestus entledigt ist, wenn sie in den kontext wieder des nackten überlebens gleichsam zurückfällt, wieder MÄCHTIG. dann, wenn der junge ranicki den polnischen kleinbürgern, die ihn verstecken und sein leben und das seiner frau retten, in packende geschichten übersetzt (quasi als eingeforderte gegenleistung) vorträgt, und die so "diese bildung" nicht als das (er)leben, was sie immer auch sein kann, nämlich ein mittel um soziale privilegien abzusichern, ein mittel zur kränkung, ein mittel auszusondern, ein machtmittel.
auf dieser grenzlinie nämlich spielt film wie buch, der grenzlinie von erhebender einbeziehender integrierender bildung gegen erniedrigender, aussondernder bildung als machtmittel. diese polnischen kleinbürger lassen sich dergestalt gleichsam ermächtigen und ermächtigen sich; der mann dieses ehepaares spricht es auch aus, wenn er sagt, der große führer hat beschlossen, diese juden sollen sterben, und ich, der kleine pole, sage, sie sollen leben. jetzt wollen wir mal schauen, wer in diesem fall gewinnt)[diesen satz hat sein retter, wie ranicki verbürgt, auch tatsächlich gesagt]
das, was auch heute noch ranickis stärke ist, nämlich die bereitschaft zur vermittlung, zur deutlichkeit, zum konflikt, ist in dem film unterrepräsentiert. natürlich liegt es auch an der lebensgefahr, in der er sich befunden hat, aber irgendwo müßte diese seite repräsent sein, wie ich finde.
was beim reich-ranicki unserer tage auch einzuwenden bleibt, ist daß er letztlich doch auch wieder in der nähe eines bildungsdünkels gelandet ist und insofern sich selbst, seinen besseren möglichkeiten ein wenig untreu geworden ist. wie ich finde. aber das sei erstmal ins vorläufige gesprochen ...


dhonau, 10:19h
=zeit war`s

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