dhonau: mit heruntergezogenen socken


Montag, 1. November 2010


salon
und graffiti




graffiti-kunst ist straßenkunst (im emphatischen sinn des worts). straßenkunst ist eine form von unwiderstehlichem ausdrucksverhalten, das ohne ausdrucksverbot nicht denkbar wäre. als solche ist sie zutiefst antibürgerlich, ohne aber die üblich linkspolitische bedeutung zu haben, wie sie dem begriff des antibürgerlichen aus den 68er jahren innewohnt. diese bewegung war insbesondere in der BRD eine reine gymnasiasten- und studentenrevolte gewesen und hat letztlich nie die avisierte arbeiterschaft erreicht. das buhlen um andere und das sprechen für andere oder anders kaschierte übergriffigkeiten, wie sie solchen politischen bewegungen eignet, wäre solchen gegenkulturellen ausdrucksformen wohl höchst fremd.
im gegenteil: graffiti-kunst ist direkter übergriff und ihrer entstehung nach ein ausdrucksverhalten der inbesitznahme etwa öffentlicher gebäude und verkehrsmittel durch signatur. die ersten graffiti waren tags, die einen unterschriftscharakter hatten. der sinn von unterschrift ist ja ursprünglich einverständniserklärung oder (in diesem fall noch passender:) bezeugung von autorenschaft. auch der begriff der authentizität hat in früherer (spätantiker) gebrauchsweise die bedeutung von autorenschaft gehabt. also meint er so gesehen im weiteren sinn urheberrecht. der urheber von straße ist also nicht der erbauer der häuser und straßen, sondern derjenige, der dort oder nur dort zuhause ist, der auf der straße lebt, "weil" die wohnungen nicht mehr bewohnbar sind mit ihrem krankmachenden mobiliar oder anderen "auffüllmaterialien", weil leben und wohnen, wie ein werbeslogan weiß, zwei äußerst gegensätzliche unterfangen sind. wohnen heißt, sich in sicherheit gebracht, es geschafft zu haben (allgemeine anerkennung) und zugleich: geschafft zu sein (urbane erschöpfung); und auf der straße sein heißt aber, ausgesetzt sein (allgemeine verachtung) etc.
der bewohner (auf) der straße lebt ein leben als straßenköter und behauptet, das, was straße ist, bin ich.
der begriff street credibility bedeutet authentizität von straßenkunst, wie sie etwa rap oder graffiti darstellen und meint letztlich jeden ausdruck, der gegen alle erzieherischen staatlichen oder parastaatlichen einrichtungen gesetzt ist (um die leute in die unbewohnbaren wohnungen zu bringen, die für sie gebaut wurden. das geht einher mit dem erlernen der wörter, die diese unsäglichen wohnmaterialien bezeichnen).
erziehung ist immer auch erziehung zu einer sprache, die von vorneherein verständlich ist. wichtig ist bei straßenkunst also vor allem, daß sie von vorneherein nicht mehr verständlich ist. graffiti erfüllt das in idealer weise. diese kunst benutzt schrift und sprache so, als wollte sie in die haut aller öffentliche dinge tattoos einritzen, sie zum bluten bringen, so daß der unterschied zwischen bild und buchstabe, zwischen körper und geist hinfällig wird. so wie tattoo als körperkunst gegen die körperfeindliche alphabetisierung der westlichen welt entstehen mußte, so mußten endlich aus dem sozialen krieg im großstadtdschungel zeichen in umlauf gebracht werden.
körperkunst war ursprünglich immer auch kriegskunst, das tattoo kriegsbemalung. und überall, wo krieger aufgetaucht waren, hinterließen sie auch ihre zeichen.

aber wie alle kunst sich von ihrer ursprungssphäre löst oder gelöst hat, ist heute auch das graffito, wie in diesem beispiel, in vielerlei "entfremdeten verkehrsformen erhältlich". alle formen des ausdrucks und der kunstsprachen stehen in der gefahr gerade wegen ihrer zunahme an kunstfertigkeit, ihren kunstcharakter einzubüßen, was ja nicht notwendigerweise bedeutet, daß es sich nicht mehr um kunst handelt. denn es ist ja u. a. gerade die befreiung von ausdruck aus ihrem entstehungszusammenhang ein wesentliches merkmal von kunst.

hier in diesem beispiel ist das besondere, daß straßenkunst die idee des salons beansprucht, das ist schließlich der ort, wo arbeit nur mit spitzen fingern angefaßt werden würde. und der tanz, der zum beispiel wie der tango aus den elendsvierteln und der straßenprostitution europäischen prekariats in lateinamerika kommt, macht den salon zu einem ort, wo man der verblödungsromantik der bürgerlichen liebe und des bürgerlichen lebens zu entkommen sucht (und ihr vielleicht gerade deshalb noch einmal aufsitzt)
während das graffito gegen jedes wohnen gerichtet ist, gegen gewohnheiten, gewöhnlichkeiten etc, ist es vergleichsweise mit der idee des salons noch kompatibel. denn im salon wird nicht soziales miteinander hergestellt, sondern dort werden kontakte gepflegt, jeder benutzt jeden. solange wird dahergeredet, bis endlich vergessen ist, was dies oder das bedeuten will, bis jeder versuch, kontakt herzustellen, bedeutet, dem anderen möglichst amüsant mitzuteilen, daß auf ihn wie jeden anderen geschissen ist. es sei denn, er ist waaahnsinnig interessant (und nützlich und und)

der salon ist krieg, immer




dhonau, 00:17h
=zeit war`s

graffiti   290

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graffito auf einem
spaziergang in münchen






dhonau, 20:44h
=zeit war`s

graffiti   197

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