dhonau: mit heruntergezogenen socken


Donnerstag, 18. November 2010


nullouvert

(neuedition)


wir waren insgesamt zu dritt. freunde in der not. eine laune des schicksals. der eine von uns verkörperte die figur des
schwitzkas gröhLLe (tatsächlich mit 2 L geschrieben).
er nannte sich so, weil er an einer schwitzsucht litt und infolgedessen immer pitschnasse, aufgeweichte hände hatte. er hasste es daher, zum gruß die hand zu reichen. er war ein hosenscheißer vor dem herrn. der andere nannte sich
breithold balan,
weil ihn, der damals als einziger von uns dreien einem regelrechten beruf nachging, sein täglicher, sich ewig lang ziehender weg in die arbeit durch die ewig lange balanstraße an sein herkommen aus einer familie aus der kaugummi-industrie erinnerte. ich selbst nannte mich
taumi zwölfhart tächtö
(eine hommage an einen finnischen skispringer, dessen namen ich nur noch ungefähr erinnere und der etwa so lautete: ta·un·no kächkö – mit den besonders offen gesprochenen, von mir so geliebten finno·ugrischen umlauten) das ent-springen, das ist die bewegtheit des aufkeimend lebendigen. die fortgesetzte wiederholung dieser bewegung ist geburtsversessen und pure narretei. da hüpft das kind wie ein skispringer aus dem erwachsenen heraus – immer wieder.
jeder hatte sich seinen namen selbst gegeben. und an dieser selbsttaufe hatten so manche teufelchen pate gestanden.
unser projekt findet auch eine erklärung in der zeit (der ausgehenden 70er und den frühen 80er jahren), da die subventionierten autorenfilmer groß im geschäft waren (achternbusch, schröter, faßbinder, herzog, wenders etc.) das leben war BAFöG-gestützt, kleinbürgerlich, grenzüberschreitend bis grenzverächtlich, widerborstig. vom BAFöG in die filmförderung, das wärs halt gewesen!
einige der autorenfilmer hatten sich auf traditionen berufen wie etwa den großen kömödianten chaplin und keaton (u. in deren nachfolge: w. c. fields, laurel&hardy, die marxbrothers, jerry lewis u. a.) diese wiederum waren selber aus der tradition des sogenannten vaudeville-theaters hervorgegangen. das vaudeville lässt sich seinerseits auf die commedia dell’arte zurückführen, das als erstes berufsmäßiges theaterspielen im alten europa angesehen wird. die commedia dell’arte, das waren im wesentlichen fahrende, regional wirkende familienunternehmen, deren mitglieder auf jeweils ein und dieselbe persona (=maske) festgelegt waren; deren typisierung nach eigenschaft (etwa: geiz) und beruf hatte den effekt einer komödiantischen vergröberung. in einem mechanischen, vegetativ-nervösen spiel aus wortwitz und körperakrobatik wurden die virulenten themen des mittelalterlich-italienischen alltags aufgegriffen. sprechen und zunge-herausstrecken waren noch nicht klar voneinander geschieden. das geistige wurde zurückübersetzt ins körperhafte; das christlich-abendländische überhöhte sozusagen in einer immunreaktion abgestoßen. die wiederauferstehung des chaos in der allgemeinen ordnung – das war für uns volkstheater ersten ranges. wir missachteten alle dezente, geschmackssichere kunst, auch wenn wir uns darüber nie ausdrücklich verständigt haben, es war wohl die große kunst selber, in der wir, die sich-entblödet-habenden, gar nicht vorkamen und die wir schlachten wollten. wie etwa der österreicherische künstler hermann nitsch, der den ursprung des christentums in der schlachterei und seinen opfer-ritualen entdeckte und der es aus theologischen himmelshöhen auf die feuchte erde herunterzwang, wollten wir der an uns gescheiterten bildungswelt mit apokalyptischen gesängen huldigen.
eines unserer von mir verfassten stücke hieß

die sorrymaker

ein stück, in der die urbane welt sich als soundmaschine mit kakophoner gewalt offenbart, im bild der rempel-pempel-fußgängerzone, wo die autos in die köpf’ g’hupft sind und wo’s aus den ellenbogen dampft, und das tatütata über dem allgemeinen gewimmel sich erhebt, als käme alle gefährlichkeit der ungebändigten natur durch die ritzen der urbanisierten welt wieder zurück. die stadt, das ist doch, sagen die begeisterten komödianten, ein gar herrlicher urwald!

inhalt dieses stücks: der tächtö hält eine 1-mann-sitzung in anwesenheit der anderen, zwischen deren sätze er den immer gleichen seufzer seufzt. der balan seinerseits konstatiert ein ums andere mal, dass er voller lust sei. der gröhLLe dagegen resümiert das gerade vorsichgehende als große nullrunde: einer möge den anderen unterbieten, worin auch immer. der tächtö setzt weiterhin unbeeindruckt, so als ob er die beiden anderen gar nicht wahrnähme, in seinen seufzern fort. die wenden sich ihm – schließlich doch noch – zu und fragen ihn lippensynchron, was denn mit ihm blo-ho-oß lo-ho-os sei?
der gröhLLe, der ewige resümierer, stellt zusammenfassend fest: wieder einmal haben wir uns in die ausgangsstellung zurückversetzt, unserem labyrinthus rectus, heute unter dem namen allgemeinplatz ein fester bestandteil der kommunikativen grundausstattung des urbanisierten menschen, ein platz, von wo alle den (ariadne-)faden aufnehmen, um in das große miteinander hineinzukommen und um vor allem auch wieder heraus.
So beginnt die

familia cru' popeli

ihr manisches spiel: einer will den jammerant 1 geben, der andere den jammerant 2 und der dritte, wer wollte es verhindern, den jammerant nummero 3; aber auch der labyrinthus rectus (das system selber) muss als darsteller fungieren, er soll nämlich die fußgängerzone spielen - und siehe da, mit einer darstellerischen bravourleistung setzt er sich in antlitzloser, erhabener dummheit hin und harret der dinge, die da kommen. alsbald laufen die jammeranten hin und her, bis eine gar schröckliche engelische fußgängerschlange aus einer feinen anstell-gesellschaft übergroß sich in den vordergrund der vorstellung in szene setzt. die vornehmen herren laufen kontrolliert amok – auch queueing genannt. wie eine lokomotive in alten griffith-filmen droht sie aus dem bild heraus über den kleinen zuschauer hinwegzurollen, da haut’s die Jammeranten hin, einer nach dem anderen. dann kommt wie ein tanker übers festland eine alte teutonische entschuldigungsbrigade (von den jammeranten selber gespielt) gezogen und macht einen gar mächtigen sorrysound (sorry obacht aua excüsee pardong tut uns leid ...) die jammeranten sind begeistert, haben sie doch in das stück hineingefunden in tadelloser allseitiger verstrickung, jeder ist die Beschwernis des anderen, alle haben sie alles auf sich genommen, ein gar christlich-abendländisch-indoeuropäisches spiel. das R flattert auf der zungenspitze oder es gurgelt guttural aus tiefem rachen: rrrr rrrr gRausam rrrichtig gRausam. dasein – das heißt, mit der stirn auf die dinge stoßen. daraus leitet sich die entstehung des verschlusslauts G ab. gugunft, gegengart, gergangengeit! aus dem verschluss-G entspringt das gegen, aus dem gegen der gegenstand, das ding und das sagen, von dem die menschen kommen, nicht wahr. mit den dingen und den menschen-sprechern teilt sich das meer, aus dem die welt hupft, so heißt das ungeheuer, das sich selbst frisst und scheißt: die NATUR ...
die ellbogen, insonderheit die engelischen, geben den populisten zu denken. das sind für sie die rechten winkel, mit denen die schicksalsversessenen und zugleich schicksalsvergessenen menschen auf kollisionen aus sind. das resultat nennen sie realität. mit dem kopf anknallen und die wand bluten zu sehen, das ist der herakliteische krieg, der vater aller dinge. und ein erstes geschichtliches großereignis ist die entstehung des großen rechten winkels, der im stück aus großen balken gezimmert mitten auf der bühne aufgezogen wird, wie ein kreuz, das an einen galgen erinnert. um diesen winkel, der im luftzug ein wenig wie ein mobile hin- und herschaukelt, tanzen die populisten ihren sorrytanz wie indianer, nur dass sie ihresfalls entschuldigungslitaneien jeiern.
der jammerant 1 extemporiert, dass heute schönes wetter ist. die anderen jammeranten stutzen, ja, wie? scheint die sonne oder ist der himmel blau? – der jammerant 1 ist ungehalten: nix, aber rein gar nix verstanden! ich gagte, heute ist schönes wetter! – aha, antworten die anderen, es ist warm draußen! – verflixt, schon wieder daneben. ich gagte schönes wetter! – jaja, der rechte winkel schaukelt nicht mehr, über allen winkeln ist ruh, nicht ein lüftlein weht, das muss doch schönes wetter bedeuten!!! – der jammerant 1 platzt vor wut: schönes wetter, sonst nix, verdammt nochmal! – schon gut, schon gut, aber wer ist das schöne wetter? – natüüürlich muss der labyrinthus herhalten und sorry-schönes-wetter spielen, wo die sorrybürger sich treffen und den rechten winkel anbeten, alle laufen sie zusammen und skandieren im chor: jetzt haben wir den ewigen salat, den sprung, la differance, the cut. (es setzt ein:Trans-lation, über-setzung, re-lation, (trans)hin-über & (re)her-über Û beziehen/bezug, ...)
so oder so ähnlich gings zu in unserem obsessionellen zirkel. die sorrymaker haben das kreuz aus seinem christlichen konnex geborgen. das kreuz als zeichen urmenschlicher kommunikation von beteiligt unbeteiligten, die in ihren schicksalslinien überkreuz kommen, die nicht nur sich mit sich selbst und den anderen, sondern dem großenganzen aufladen, und die doch im gegensatz dazu auf option aus sind, die an-kreuzen, die aussondern, die sich entlasten wollen – von sich, den anderen, dem großenganzen: es ist ein kreuz! kein wunder, dass sie eines heilandes sich bedürftig zeigten, der im zeichen des heilens, des ganzmachens unter die menschen kommt und das ganze theater auf sich zu nehmen verspricht, damit die kleinen menschlein, die parsprotöterchen, von ihrer teil-ganzheit-loch-sucht-krankheit befreiet werden. ach, es ist ein kreuz, mit ihrem sorry-theater – aber, diese frage stellt sich hier, ist nicht das kreuz auch ein zeichen der großen seins-religio, der mächtigsten und zugleich verwehtesten aller erinnerungen? denn mit dem heraufziehen dieser unserer welt sind uns andere namenlose welten für immer entglitten! und doch mögen sie durch uns hindurchgehen, uns durchkreuzen gewissermaßen; in diesen welten gibt es uns nicht, aber dieses nicht-geben, das ist wie eine weise zu sein, geburtslos, endlos, unbegrenzt ... (als einer erfahrung des nichterfahrbaren)
unser konzept, das damals diesen namen nicht verdient hat, war zugleich gegen die zeit gestrickt, als überall das wort von der BEZIEHUNG aufkam, als die menschen das elend nicht mehr nur in den verhältnissen gesucht und gefunden hatten, sondern in der realen liebe, in den nähe-beziehungen untereinander – je näher, desto elender sozusagen. aber war – nach unserer unausgesprochenen ansicht – dieses elend zuvor ein sprachloses oder lag gerade in dieser allgemeinen sprachlosigkeit, so nahm es zunehmend eine elaborierte ausgefaltete breitgetretene kleinstbürgerliche umsichgreifende omnipräsente gestalt an.

beziehungen wurden jetzt allerorten AUFGEBAUT!

aber wir, die wir "die aufzeichnungen aus dem kellerloch" (fjodor dostojewskij) oder "die letzte lockerung" (walter serner) zu unseren bibeln erhoben hatten, wollten uns nicht von dem allgemein aufgestellten gerede justieren lassen. wir haben uns aus der vollkommen a-sozialen konstellation unserer freundschaften, aus unseren a-freundschaften sozusagen heraus- und hervorgequatscht in die aufgebauten sozialen würgwelten hinein und hindurch und hinaus, ahhh! das dumm-daher-reden war zu einer existenzweise geworden; in einer politisiert aufgeklärten welt haben wir unseren beitrag ex negativo durchaus geleistet – nur dass wir unter einer chronischen unterbezahltheit litten. trotzdem hat uns die bundesrepublikanische gesellschaft, das sei zu ihrer ehrenrettung gesagt, immer ausreichend bier zur verfügung gestellt.
unsere stücke haben wir nur sporadisch und bei irgendwelchen sich bietenden gelegenheiten zur aufführung gebracht, immer im schatten von anderen mehr oder weniger engagierten projekten. z. bsp. in vernissagen von künstlern mit ihren hervorbringungen, die wir insgeheim der inkontinenz bezichtigten, die mit einem blöden mut nach vorne gekommen waren (eine form der avantgarde) – und wir mit einer nonchalant kaschierten feigheit dahinterher.




dhonau, 22:39h
=zeit war`s

theater   446

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(hvs-63)
leben auf der grenze (seiner sprache)
oder: die erfindung von INNEN- und AUSSEN-WELT

der aus den zeiten
herausgefallene
freiher v. u. z. scheußenbach
ich befinde mich vermutlich in der mitte meines lebens. immer häufiger aber ertappe ich mich dabei, irgendwo unterwegs, nicht mehr zu wissen, wo ich hinwill, und ziellos durch die strassen zu trotten. ich scheine dann von nichts anderem getrieben zu sein, als nur irgendwie an einen ausgang zu kommen.
die mitte, das ist der ort, wo alles in den blick kommt, ein grauslicher ort, ein dazwischen, ein auseinander, ein zusammen, bruch und brücke zugleich, der ort der erinnerung schlechthin, und doch fühlt sich ein mensch nirgendwo mehr draussen. in der mitte kommt alles zum stehen, der jähe tempoverlust lässt einen herausfallen, aus dem leben, aus der zeit, aus der verbindung mit den mitmenschen.
die frage ist, muss das erzählt werden, muss das aufgeschrieben werden, vor mich hingestellt sein; muss ich herauskommen, von dort draussen, und aus dieser meiner fremde herabschauen können – auf das buch[1], in es hinein.
ich muss in diesem buch[2] an den anfang kommen, meinen anfang, dem heiligen moment des aufkeimenden einbrechens in diese – welt.
  1. oder a. weblog
  2. was ist denn ein buch dieserart anderes, als ein nicht vollendbarer versuch, sein leben wie von außen abzurunden, gestalt zu verleihen




dhonau, 08:46h
=zeit war`s

herr von scheussenbach   498

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