sich einem menschen anzunähern, heißt wohl immer zugleich auch in allerletzter konsequenz: entzauberung.
zu den vorläufern unserer so genannten ÖFFENTLICHKEIT gehören u. a. die umlaufenden, weitererzählten geschichten, vor druck und buch und papier und zeitung, volksgeschichten, die sich gerade durch die weitererzählung zu einem bezugspunkt für eine ansonsten gar nicht hergestellte überlokale gemeinschaft von sich nicht einmal vom hörensagen kennenden menschen entwickelten. die geschichten waren die mythen ihrer zeit. wir könnten daher sagen, der beginn von so etwas abstraktem, wie es der begriff MENSCHHEIT darstellt, ist der mythos — und daher grundlage jeder identität(sbildung). jeder, der sich gleichwie in der öffentlichkeit professionell zu schaffen macht — heutzutage — von einer website unterstützt, braucht eine VITA: das aber ist ja immer etwas, das einem MYTHOS nahekommt.
jede person ist nur insofern person, als sie eine person unter anderen personen ist. differenz und identität bedingen einander. nur insofern wir uns unterscheiden, gibt es uns (für andere). wir müssen identifizierbar sein, und wir sind identifizierbar, je mehr wir aus einer gemeinschaft heraus zur (differenten) erscheinung kommen. in der christlichen lehre hieße der dafür bereitgestellte begriff epiphanie
die "erscheinung des HERRN" könnte man profanisieren (in "weltdeutsch" übertragen) auf den zur autorität gelangenden, etwas verursachen könnenden menschen: denn in erscheinung treten, heißt ja, in einer gemeinschaft zur präsenz zu gelangen: als eine durch äußerung in wort und tat identifizierbar werdende (differente) person. zuerst ist man nur ein name, aber mit den ersten rufen, ansprachen etc, die dem sich ankündigenden menschen gelten, kommt ein mensch ins äußere, in die "äußerung", eigenartiges beginnt zu entstehen, dann beginnt die zeit, wo aus den namen SPITZNAMEN (nicknames) entstehen. jetzt schürzt sich langsam ein material, aus dem sich geschichten um personen ranken. und wenn wir zudem noch die ursprüngliche bedeutung des lateinischen wortes PERSONA als MASKE in die allgemeine erinnerung rufen, dann wissen wir, dass die maskierung einen aspekt der persönlichkeitsentwicklung bezeichnet.
sich also einem menschen im emphatischen sinn des wortes anzunähern, heißt letztenendes immer so etwas wie entzauberung oder demaskierung. deswegen ist die bewegung der annäherung latent aggressiv. und wird oft auch entsprechend abgewehrt, nicht wahr?
... und wenn es dunkel wird, steigen die geister auf. und die fürchten vor allem den hellen tag
... nacht für nacht
"Der Ursprung der Redewendung »bis in die Puppen schlafen« oder anders »bis in die Puppen aufbleiben«, »bis in die Puppen arbeiten, fernsehen« etc. mit der Bedeutung von ›sehr lange‹ stammt aus dem Berlin des 18. Jahrhunderts. Mitte des Jahrhunderts wurden am Großen Stern im Berliner Tiergarten – noch heute ist der damals von Hecken umgebene Platz unter diesem Namen bekannt – Statuen der antiken Mythologie aufgestellt. Der Berliner Volksmund bezeichnete diese Standbilder als »Puppen« und den Großen Stern als »Puppenplatz«.(Lutz Röhrich, »Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten«, Herder, Freiburg 1992.) Das »Deutsche Sprichwörter-Lexikon«, Darmstadt 1977 (Nachdruck von 1873), gibt weiter an, dass die Berliner am Wochenende Spaziergänge »bis in die Puppen« zu machen pflegten. Zu Fuß war dies damals vom Stadtkern aus ein sehr weiter Weg. Von der räumlichen wurde diese Wendung auf die zeitliche Ausdehnung übertragen und wird so noch heute im Sinne von ›sehr lange‹ verwendet."
das fette individuum und die mediale magersucht (u. das verloren gegangene maß)
die um 1500 herum entstandene zeichnung von leonardo da vinci, als die hochrenaissance schon ins manieristische umzuschlagen begann, wo sich die individuelle kunst ("in der manier von ...") loslöste vom bloßen dienst an einem thema, sondern gleichsam mit dem thema vom thema sich entfernte, setzte das "kontermotiv" zur hybris des renaissancemenschen, des universalen, alles könnenden menschen, als deren paradebeispiel leonardo selber gilt: dies kontertthema, das kontrastmotiv, ist das rechte maß, das in dieser zeichnung zunächst nur auf die proportionen des menschen bezogen scheint; aber der sinn für das rechte maß zeichnet den durch alle hybris, anmaßung und selbstüberhebung gegangenen reifen menschen aus. zugleich zeigt sich in diesem wohl organisierten, wohl proportionierten ein weltmodell im kleinen, sodass die hybris des menschen in dieser "maßvollen veranstaltung" wieder hindurchscheint: der mensch als das "maß aller dinge" (vgl. protagoras)
ein mensch wird insbesondere auch durch das vermögen zum individuum, peinlich sein zu können.
das ist die währung unserer zeit: AUFMERKSAMKEIT —
und peinlichkeit ist ein spezialfall von aufmerksamkeit, die der einzelne mensch auf sich ziehen kann.
da sagen die einen oder anderen: das sagt der richtige.
der korrespondierende begriff zu PEINLICHKEIT ist FREMDSCHÄMEN — eine errungenschaft unserer zeit, ein relativ junges wort, das eindeutig der tv-kultur zuzuordnen ist, die sich dadurch auszeichnet, dass der sogenannte NORMALO ins mediale zentrum der allgemeinen aufmerksamkeit rückt und selber zum tv-darsteller wird. "wetten dass" ist ein frühes beispiel dafür; insbesondere auch durch den moderator, der mit der dauerbotschaft: "ich bin zwar ein uhu, ein bunter vogel, aber doch einer von euch" die aufgeschreckte bevölkerung beruhigt hat, als die darstellungssucht immer verrückter zu werden begann. die sendung oder, wie es so schön heißt, das FORMAT kam am ende mit den ausgelatschten wetten so bieder rüber, dass die damit einst einhergehenden verrücktheiten (irrsinnige, unentdeckte hobbies aus unserer "nachbarschaft") keinen mehr hinterm ofen hervorlocken konnte, warum? weil diese hobbies keine ausgefallenen hobbies mehr waren, die die verrücktheiten in der normalo-bevölkerung dokumentierte, sondern diese wetten immer mehr eigens erfunden worden waren, um irgendwie in die sendung zu kommen. das machte das ganze schließlich immer unerträglicher. gottschalks interviews mit irgendwelchen stars, die ihre massenproduktionen zu promoten hatten, waren legendär oberflächlich, und die getragen waren von dem außergewöhnlichen talent des moderators, mit einem strahlenden nichts die ganze welt zu umarmen.
heute herrscht botox und tattoo; die verrücktheit (eine uniforme diversifizierung, alle sehen unterschiedlich und irgendwie gleich aus) ist normalzustand geworden.
man kocht sich ins fernsehen hinein, und kotzt sich ("dschungelcamp") wieder heraus.
ein star ist immer mehr einer, aus dem beinahe ein mensch hätte werden können, wenn nicht die fress- und kotzsucht das konsumleben auf den gipfel getrieben hätte.
das sind die krankheiten unserer zeit: fett- und magersucht (in wahrheit geschwister), beschleunigung durch (party- und business-)drogen und entschleunigung durch devitalisierung (depression und burn-out)
wer wissen will, woher der begriff des INDIVIDUUM kommt und wohin er geht, auch wenn er, wie mancher scherzbold einwenden mag, gar nicht gehen kann, der soll sich mit uns in diesen bemerkungen verlieren, die uns nonchalant und unversehens ins zentrum führen einer von sich selbst gelangweilten schöpferkraft, die alle dinge ein zweites mal auf die welt pustet, als ob das alles in kunst dahinzusterben und zu enden habe.
das INDIVIDUUM kommt und geht, wenn es von sich erschöpft ist, aus dem grübeln nicht heraus.
es revitalisiert, indem es sich überträgt, zum ausdruck bringt, sodass alsbald beispielsweise auch der gassi-hund von der krankheit seines herrn beschwert nur noch dahinschleicht ...
und das bellen seinen frisch domestizierten artgenossen überlässt.
fast immer wenn auf die renaissance, insonderheit die italienische (il rinascimento) die rede kommt, landen wir bei dem modernen begriff des INDIVIDUUM, das ist der konkrete, der unverwechselbar eine, der gemeinte menschen, der nicht mehr bloß begriffen wird in seiner allgemeinen schicksals- unterworfenheit als notorisch kleiner als GOTT — und was es an bezeichnungen für allmacht sonst noch gibt, die in allen möglichen religiösen und nicht religiösen repräsentanzen in erscheinung tritt. ("gottähnlich" oder "nach dem bilde gottes" — das sind formeln menschlicher hybris, so schrecklich, aber ohne hybris oder selbstüberhebung gibt es den menschen nicht)
mit der renaissance beginnt, heißt es, die moderne. und der protagonist der moderne, formuliert dhonau, ist das individuum. wenn wir von einer industrie, die alle vorstellungen übersteigt, ins visier genommen werden, der informations- und werbewirtschaft, die immer mehr ein und dasselbe sind, dann unter dem einen alles andere überragenden aspekt, nämlich dem versprechen des einzigartigen, einen und unverwechselbaren EINZELNEN, dem INDIVIDUUM: DAS INTERNET ist der EINE GLOBALE MARKTPLATZ, in dem werbung immer individualisierter auftritt. und das paradoxerweise massenhaft. diese werbung sagt, du bist der eine, der gemeint ist. mehr oder weniger alle wissen, dass nicht menschen mit uns sprechen, sondern algorithmen und programme unsere marktauftritte und marktverhalten berechnen und uns mit direkten oder kaschierten kauf- vorschlägen bombardieren. aber die strategien sind dennoch äußerst wirksam, wenn wir nur die milliarden päckchen in bvetracht ziehen, die uns die logistikunternehmen jeden tag weltweit ins haus schleppen. auch wenn dieses wort INDIVIDUUM so banal und fast nichtssagend daherkommt, ist es doch das schlüsselwort unserer zeit. warum? neben den schon angeführten bemerkungen über die geburtstunde dieses begriffs, gilt es natürlich, den begriff in seinen zeitgenössischen ausprägungen unter die lupe zu nehmen.
der kleine mensch david (1501-1504) ist eine monumentale, ca. 4m hohe skulptur von michelangelo; diese skulptur mag selbst als ein beispiel menschlicher hybris angesehen werden
das individuum der renaissance findet seinen ursprung auch unter ästhetischen gesichtspunkten in dieser zeit: mit der erfindung der zentralperspektive zum beispiel in der malerei klingt implizit auch das thema INDIVIDUUM an, denn was heißt zentralperspektive anderes, als etwas aus einer individuellen warte zu sehen. im weiteren beginnen künstler, die sich als solche noch gar nicht verstanden, in dieser zeit ihre werke zu signieren: der autor als urheber oder schöpfer betritt als INDIVIDUUM (und darin haben wir auch das, was wir heute unter künstler verstehen) die szenerie, ein produkt aus "sehen und gesehen werden", ein diktum, das noch heute für gesellschaft steht, deren dynamisierung unter dem aspekt frei fluktuierender AUFMERKSAMKEIT verstehbar wird
augere [augeo/auxi/auctum] ist die wurzel, das herkunftswort sozusagen und bedeutet wachsen, vergrößern
eine der vergiftesten begriffe im deutschland nach dem 2.weltkrieg ("nazideutschland"; "holocaust") war evidentermaßen AUTORITÄT. auch vor diesem hintergrund ist die entstehung einer weltweit anhebenden jugendkultur, der POPKULTUR, anzusehen als ein erstes modern globales phänomen wie sie sich in den 60er jahren in allen westlichen oder westlich geprägten ländern übergreifend von "erwachsener" kultur abgrenzend behauptete.
diese abgrenzung war u. a. motiviert von neuralgischen themen wie "hiroshima", der atomaren aufrüstung der alliierten, von dem ersten kolonialen vernichtungskrieg, der ein ganzes land mehr oder weniger auszurotten bereit war, nämlich dem vietnamkrieg, der auch ein stellvertreterkrieg war zwischen dem kommunistischen russland (sowjetunion) und den kapitalistischen usa. im spezialfall deutschland war die abgrenzung der jugendkultur zudem noch auf die im nachkriegsdeutschland naturgemäß sehr hohe präsenz ehemaliger nazifiguren bezogen, die in den sogenannt bürgerlichen parteien, insbesondere der CDU (s. FILBINGER), "heimat" gefunden hatten, ohne jedenfalls im allgemeinen von ihrer alten nazi-ideologie völlig befreit gewesen zu sein (man sprach u. a. von einer verstummten vätergeneration).
das war die spezifisch deutsch geprägte variante der aufkommenden jugendkulturellen popkultur und studentenbewegung wie sie mit sogenannten 68ern sprichwörtlich geworden ist. eine zentrale figur dieser jugendkultur war der HIPPIE, der in der parole MAKE LOVE NOT WAR und seiner provokant "weibischen" erscheinung (lange haare, schmuck tragend, bunte weite klamotten) als ANTISOLDAT und ANTIAUTORITÄR gestimmt die etablierten gesellschaften provozierte. die bewegung kennzeichnete implizit die katastrophen des 20. jahrhunderts als ein desaster männlich bestimmter geschichte. nicht umsonst geriet das MANNSBILD in eine fundamentale krise, wie es unter dem stichwort PATRIARCHAT heute noch überall und anhaltend in der diskussion steht
XY ist eine autorität auf irgendeinem gebiet; jemand wird autorität attestiert (ausstrahlung); amtsautorität (macht); autorität durch gestaltungswillen; selbstsicheres auftreten (autorität (?)in eigenen angelegenheiten; selbstermächtigung); autorität durch reputation und allgemeines ansehen, soziale präsenz (gefragte persönlichkeit, vernetzung, "sozialer aktionsradius"); autorität aufgrund der fähigkeit, einfluss auszuüben (manipulative persönlichkeit); ...