dhonau: mit heruntergezogenen socken


Montag, 14. März 2011


ohne männer (II)

(c) dhonau
in dem roman sagt die mutter der tochter (=erzählerin) von deren schon verstorbenen vater, also ihrem mann, er hätte sich, da sei sie sich sicher, einmal in eine andere frau verliebt gehabt. wie sich im dem mutter-tochter-gespräch herausstellt, ist der ehemann deswegen keine liaison eingegangen, obwohl diese liebe eine geraume zeit wohl angedauert hat. ("Nein, ich glaube nicht, dass sie Sex hatten.") und daß dieser (ehe)mann keinen sex mit der anderen frau hatte, erklärt sie mit seiner RECHTSCHAFFENHEIT; – eine heute kaum noch gebrauchtes wort.
andererseits erklärt sie ihrer tochter, der hauptprotagonistin des romans (aus deren perspektive erzählt wird), warum sie ihr das gesagt habe. sie habe sich nämlich oft gewünscht, ihr mann hätte diese liaison auch sexuell gelebt; auch mit dem wohl erhöhten risiko, ihn ganz zu verlieren.
warum sie sich das aber gewünscht hätte, das erklärt sie ihrer tochter nicht. der tochter-erzählerin fällt in diesem zusammenhang (für sich, im inneren monolog) die strophe des shakespeare sonnetts (129) ein, die im vorigen eintrag sowohl im original, wie auch in der deutschen übersetzung des romans auf deutsch wiedergegeben ist, sowie in einer weiteren anderen übertragung ins deutsche zum vergleich.
es geht an dieser stelle des buchs um einen verstorbenen ehemann, um eine frau-mann-beziehung einer vorigen generation (siehe den begriff rechtschaffenheit), um eine alte variante von – sagen wir mal – nicht-ausleben des lust-lebens wie auch des nicht-explizit-werdens, denn dieser mann teilt sich ja nicht mit.
interessant ist hier für mich die analoge zweifache zurückhaltung des mannes. das läßt sich in zwei fragen einfangen: erstens: muß (darf) man alles ausleben? zweitens: muß man alles erzählen? dahinter verbergen sich auch die fragen nach liebe und wahrhaftigkeit.

zudem habe ich – bewußt – die ganze sache, wenn auch nur zart angedeutet, in eine vage verbindung gebracht mit der aktuellen erdbeben/akw-katastrophe in japan.
die japanische gesellschaft wohl ebenso wie die japanische politik sind ja trotz der tatsache, daß das land (s. hiroshima) wie kein anderes unter den folgen atomarer technik zu leiden hatte und vielleicht auch noch hat, den weg in die sogenannte friedliche nutzung der kernphysikalischen TECHNIK mit größter konsequenz gegangen; und auch trotz der tatsache, daß japan eine der am meisten von erdbeben gefährdeten regionen dieser welt ist. seine bevölkerung ist in vielerlei maßnahmen für den eventualfall von erdbebenkatastrophen vorbereitet. (angeführt als ein indiz für das allgemein vorhandene bewußtsein dieses japanspezifischen risikos).
wenn wir außerdem die etwas grobe, aber sicher nicht ungerechtfertigte gleichung MÄNNER=TECHNIK aufmachen, dann haben wir einen fragenkomplex, in dem eine ganze moderne welt sich spiegeln läßt. diese sich von dort ableitenden fragen nach der hybris mensch, nach der hybris mann, nach dem lustprinzip, nach selbstbeschränkung, ethik in sozialen kontexten, nach der hybris technik, wie auch das ins spiel bringen eines antik-griechischen verständisses von téchne als einem umfänglichen begriff von einem wissen-wie (gelebt werden soll), der frage auch von was alles möglich ist wie auch der frage nach dem LEBBAREN leben im individuellen wie auch gesellschaftlichen-politischen — alles das verbirgt sich in diesem roman in einer marginalen gespiegeltheit, einer "kleinen" geschichte, in der eine frau ihre "krankheit" lebt, wie vielleicht andere ihrem exzessiven begehren nachleben, sozusagen in einer therapeutisch wie erzählerischen entzogenheit der männerwelt, wenn man so will.
im schatten einer modernen männerwelt strandet das so viel wegen der kommunikativen reduziertheit kritisch betrachtete leben unserer vorväter erzählerisch unter dem aspekt der selbstbeschränkung wie eine flaschenbotschaft in unserer zeit an. es zeigt sich, daß untergegangene welten oft nicht so ganz und gar vergangen sind, wie wir das manchmal glauben, daß sie unverhofft wiederkehren – nicht als alte zeit, nostalgisch verklärt, sondern in untergegangenen, aber nicht erledigten aspekten.

übrigens ist hier noch nicht geredet worden über den interessanten wunsch der mutter, ihr mann möge seine mehr oder weniger uneingestanden angebete auch zu seiner geliebten gemacht haben.
in diesem ihrem wunsch drückt sich für mich – dialektisch verkehrt sozusagen – die wenn auch von ihr UNGELEBTE hybris frau aus. hybris deswegen, weil hier das spiel mit dem feuer anklingt.
und das gilt doch wohl auch: der mensch kommt nicht um die anmaßung, die es bedeutet, ein mensch zu sein, herum. die vielleicht da und dort gewünschte selbstbeschränkung darf nicht zur ideologie werden, die nur regressive antworten auf die gefährdung und gefahr namens mensch zuläßt. ein mensch kann nur durchkommen, wenn er das "DURCH" annimmt, wenn er beherzt sich den gefahren stellt; das heißt natürlich auch, daß es letztlich darum geht, sein lebbares MASS zu "lernen"/ zu finden. in dem wunsch der frau, ihr mann möge sich auch woanders als mann erwiesen haben, verbirgt sich vielleicht auch die sehnsucht, die gefährdungen und die gefahren des lebens nicht auszuklammern, sondern MIT ihnen zu leben, unabhängig davon, wie man sie im einzelnen beantwortet oder ihnen konkret begegnet.




dhonau, 02:22h
=zeit war`s

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Zitat aus "Amrita"
von Banana Yoshimoto

"Auch das hatte sich wieder so angehört wie das übliche Bekenntnis einer Frau, die einen Schritt zu weit gegangen war, aber wenn sie so vor einem stand und man ihr live zuhörte, spürte man die tragische Größe eines Menschen, der am eigenem Leibe erfahren hat, was es heißt, den Mut zum Zerstören aufzubringen."

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wunderbares zitat, mit dem
die hier angedeutete diskussion auf "höhe" kommt. das zitat ist deswegen so genial, weil es das thema gleichsam von der gegenüberliegenden seite erreicht. die nähe von lust und zerstörung ist ja fast sprichwörtlich.
von belang finde ich auch, daß die banana yoshimoto (darin vergleichbar mit murakami) schon das globalisierte (andere würden sagen: – wie ich meine – unterkomplex, das verwestliche) japan repräsentieren, insofern sie sehr kennerhafte rezipienten westlich-europäisch-amerikanischer kultur darstellen, ohne aber ihren japanischen touch aufgegeben zu haben.
und globalisierung ist immer auch totalzerstörung (und natürlich auch totalerneuerung). was den murakami wie die banana so interessant und lesbar machen, ist, daß sie ein so spielerisches verhältnis zur destruktion haben; etwas riskanter formuliert, in freudvoller nähe zur politischen inkorrectness: die ein gut integriertes weibliches element agieren. denn das, was landläufige männliche destruktion so desolat macht, ist desintegrierte, gleichsam ins äußere projizierte destruktivität. das nebenbei.
globalisierung als destruktion können wir auch veranschaulicht finden in der hellenisierung der antiken mittelmeerwelt, mit der man die globalisierung durch alexander den großen bezeichnet, was der amerikanisierung der welt nach dem II. weltkrieg entspräche, die strukturell die voraussetzung war (auch wenn das keiner hören will) für den siegeszug von pop-jugend-kultur rund um den globus. (bis jetzt war kultur [nicht zu verwechseln mit dem kulturbegriff, der letztlich das fade verwalten von gesicherten kulturgütern meint] immer noch das ergebnis von erweiterndem ÜBERGRIFF in die welt hinaus, da gibt's für mich kein vertun)
es waren ja nicht nur die "vietnam-GIs", die ami-soldaten, sondern auch der inbegriff des psychodelisch erweiterten anti-soldaten, die in der tendenziell ganzen welt einen parallellen "imperialismus" ausgelöst haben, nämlich die blumen-soldaten alias die hippies – das ist die verblüffend einfache formel des heute noch wirksamen phänomens, das alle anderen kulturen aus den angeln zu hebt.
die gerade virulenten nordafrikanischen revolutionen zum beispiel sind doch initiiert von internet-sozialisierten jungen menschen, das ist nichts anderes als gelebte POP-KULTUR.
die amerikanische kultur dagegen löst sich langsam in ihrem eigenen erfolg auf und fängt an, ins marginale abzudriften. die destruktion erfaßt alle.

ich bin wirklich für das zitat dankbar. @"die tragische Größe eines Menschen, der am eigenem Leibe erfahren hat, was es heißt, den Mut zum Zerstören aufzubringen" – einfach großartig, weil mit diesem satz dem thema die falsche sicherheit genommen ist, mit der heute in der meinungskultur die interessantesten themen verhunzt sind. egal, ob sie von rechts oder links, oben oder unten angeflötet werden.

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