in der WELT AM SONNTAG erschien gestern der artikel
"Das ist das Leben der Boheme" über den cdu-generalsekretär HERMANN GRÖHE.
schon im untertitel "Nirgends wirken die bürgerlichen Parteien verlorener als in den Metropolen. Deshalb will die CDU nun ihre Großstadtkompetenz stärken. Wir haben Generalsekretär Hermann Gröhe gebeten, die zu beweisen."
dhonau findet den artikel allein deswegen schon interessant, weil darin ein phänomen angesprochen ist, wenn auch nur implizit, in dem sich das WEB-ZEITALTER spiegelt.
geben wir in die google-suche das begriffspaar PRONVINZIELL – URBAN ein, ist an prominenter stelle dieser aufsatz gelistet:
"Proviniziell, urban, global".
in dieser reihung formuliert sich das thema, auch wenn der aufsatz andere intentionen verfolgt. das soll uns hier nicht weiter interessieren.
jedes neue medium verändert die welt. klar. es formatiert die welt nicht nur um, sondern bringt auch das hervor, was wir überhaupt unter welt verstehen.
alle menschen, die von diesem medium erfaßt werden, sind unter diese umformatierung gestellt — sozialpsychologisch, politisch usw.
die art und weise, wie die menschen sich in diesem medium darstellen oder auch nicht, wie sie zur teilhabe kommen oder auch nicht, wie bewußt oder unbewußt sie diese umformatierung erleben, verarbeiten oder auch nicht, prägt ihre welt. nichts neues, klar.
was das internet zeitigt, ist das, was wir globalisierung nennen. eine folge aber dieser globalisierung ist die relative einebnung von provinz
und metropole. die ausstrahlung auch der provinzler ist heute vergleichsweise urban. und dieses phänomen steht erst an seinem anfang. eine strukturstiftende ursache liegt darin, daß das NETZ nicht zu hierarchisieren ist und noch mehr in der netzbedingten vergleichzeitigung von information.
allen steht der möglichkeit nach jede information zur verfügung, sofern sie eingespeist ist. aber wer eine information zurückhält, kann davon ausgehen, daß ein anderer sie einstellt.
was mit der privatisierung der telekommunikation eingesetzt hat, nämlich daß information zur WARE wurde und ihre zurückhaltung von wem auch immer nur zur steigerung ihres warenwertes führt und also paradoxerweise gerade darum umso verkehrfähiger und verkaufbarer wird — diese phänomen hat sich im INTERNET-zeitalter verschoben und verdichtet.
da die information selber tendenziell nichts einbringt — außer öffentlichkeit, aufmerksamkeit, publikum, liegt ihr wirtschaftliche wert eben genau darin, das herzustellen.
in einem informell kurzgeschlossenen universum ist der größte wettbewerb der um AUFMERKSAMKEIT.
in dieser welt zu bestehen, zeichnet den urbanen mensch aus, auch seine hin- und heroszillierende gestimmtheit zwischen aufgekrempelt, hochmotiviert und mehr oder weniger kaschierter erschöpftheit.
die welt des coaching und des burn-out, der stimulanzien und depressionen grundieren diesen universellen wettbewerb um aufmerksamkeit.
das verändert auch, wie es in diesem artikel der wams zum ausdruck kommt, die sog. bürgerlichen parteien.
wenn wir zum beispiel die csu unter franz-josef strauß (als humanistisch ausgebildetem bierzelt- und provinzgladiator) mit der csu unter seehofer vergleichen, können wir auch sehen, daß die provinz als solche verschwindet. seehofer ist insofern eine bajuwarische umformatierung ins urbane, als daß positionen im meinungsdschungel hochflexibel werden. das ist der perfide charakter des metropolitan: meinungen werden optional, instrumentell, strategisch. um im meinungsdschungel zu überleben, darfst du nicht an meinungen hängenbleiben.
das kommunizieren von meinungen hat für den urbanen charakter mehr die bedeutung, den affekthaushalt zu regulieren.
bei seehofer allerdings ist diese zynische ausprägung auf dauer too much. zuviel gummi im spiel.
es geht bei diesem globalen geschäft natürlich auch darum, zu HALTUNG und STABILITÄT in der
hochflexiblen internetwelt kommen zu können. da gibt es nur ein rezept, und das ist das nicht-rezept, du mußt reinspringen, durchkommen, irgendwie, die kraft findest du nur unterwegs oder überhaupt nicht. wer sich raushalten will, wird reingezogen, so oder so. du bist mitten in der metropole, in der netz-welt-stadt, ob du willst oder nicht.