dhonau: mit heruntergezogenen socken


Dienstag, 13. September 2011


ein halber, also richtiger freund
und eine halbe, also richtige kunst



vor ca. 30 jahren, noch gar nicht an dhonau, den bloggerianer, zu denken, hatte ich einen halben, also richtigen freund, der war ein bißchen nebenbei germanistik-student, also ein richtiger, und konnte seine leise verzweiflung über sich und die welt und seine immer schweißnassen hände mit diesem germanistik-scheiß, wie er und alle anderen germanistik-studenten es empfanden, in eine verzweifelt angemessene form gießen. germanistik zu studieren war einfach scheiße. und dieser nicht besonders, sondern eher normal verweifelte freund und germanistik-student hockte in seiner studenten-bude in schwabing, einem künstlerviertel, in dem alles vorkam, nur keine kunst, und las am liebsten literatur, die nicht in der verzweiflung verharrte, sondern sich aus ihr hindurch- und herausschrieb.
sein lieblingsdichter war hubert fichte, und genau auf den bin ich heute durch zufall, den es ja angeblich nicht gibt, gestoßen.
ich habe noch ein paar exemplare von "sprache im technischen zeitalter" aus den 1980ern, einem literaturmagazin des LITERARISCHEN COLLOQUIUMs (berlin). in einem der hefte (104; 1987) fand ich ein interview mit hubert fichte, damals eines der heißen eisen der deutschen literatur. d. h. natürlich zugleich: einem größeren publikum nicht bekannt. und nun stellen Sie sich einmal vor, da, in diesem interview, berichtet der dichter davon, daß er seine romane, die natürlich nicht so sind, wie romane landläufig zu sein haben, mit zetteln vorbereitet, abertausenden, die er an die wand nagelt, regelrecht nagelt. 1967 sei er aus seiner wohnung aus diesem grund herausgeklagt worden. zwar habe der hausbesitzer den prozeß gewonnen, aber während des langen prozesses sei er pleite gegangen. ein neuer besitzer sei ins haus gezogen. doch bevor es dann zu einem zweiten prozeß gekommen sei wegen seiner notorischen romannagelei, habe der neue besitzer sich an diese unbill gewöhnt. dessen moderaten ansinnen aber, bei seinen zettelaktionen doch wenigstens filz oder irgendein isoliermaterial zu verwenden, habe er einfach nicht entsprechen können, er würde nur heute etwas leiser nageln.

DAS ist literatur. alles andere käse.

davon war mein germanistischer halbfreund überzeugt, ohne es zu wissen, denn er war von seinen eigenen schwitzereien derart beeinträchtigt, daß er dachte, bei all den herrenweibern keinen stich machen zu können, die unser gemeinsamer freund BALAN so nannte, die über ihn hinwegsahen

ich, der ich heute hier als dhonau firmiere, stimmte ihm zu, obwohl ich außer ein paar sätzen nichts von fichte gelesen hatte.
diese paar sätze aber und die geschichte über einen halben, also richtigen freund ergeben zusammen (formelhaft) das, was ich reale lektüre nennen würde. zu dieser auffassung von lektüre gehört unabdingbar ein grad an unvollständigkeit und – eine geschichte dieser so oder so sich manifestiert habenden unvollständigkeit (eines nicht zuendelesens oder einer flüchtigen oder überspringenden oder ständig unterbrochenen aufmerksamkeit etc.)
alle lesen irgendetwas in dieser oder jener weise, das kann auch erzählt werden, auf immer neue weise.
das bibliophile gehabe des bildungsbürgers kann einem ja auch mächtig auf den zeiger gehen, nicht wahr?

andererseits ist ja der schwitzkas, wie er später genannt wurde, schwitzkas gröhLLe, in ein schwabinger halb berühmtes, also richtig berühmtes lokal gegangen und hat sich, nachdem er an dem türsteher vorbeigekommen ist, oder sagen wir: sich vorbeigeschwitzt hat mit seinem immer ein wenig zur seite geneigten kopf, als wollte er den watschen, von denen er geglaubt, sie gälten ihm, ein wenig durch deren antizipation die schärfe nehmen, an den tresen gepflanzt gehabt, um der angekündigten kunstaktion des HEINZ BRAUN beizuwohnen, der eigentlich postbote war und erfolgloser maler, aber als hauptdarsteller in den achternbuschfilmen mittlerweile bekannt geworden war und den denkwürdigen satz in einem dieser filme wie eine fahne in den wind gehoben hatte, der da lautete, auf die anwerfung eine oberbayrischen kellnerin hin, ihm stünde er doch gar nicht mehr: "oh doch!"
seither war der schwitzkas, mittlerweile der hinterletzte aller germanistikstudenten, ein lautloser anhänger aller achternbusch-kunst-eskapaden geworden.
der achternbusch war der erste aktör gewesen von den kleinbürgerlich-bürgerlichen-zukurzgekommenen, nichtsdestotrotz oder überhaupt zum trotz lustaffinen landpiraten, nicht wie die raf-trotteln, die aus ihrer verwahrlostheit eine utopie machen wollten.
und auf eben jener heinz-braun-kunstaktion haben sie einen stier ins szene-lokal geschleppt, der dann die tanzfläche vollgeschissen hat mit seinen riesenpflatschfladen.
der gröhLLE also saß am tresen und schlürfte ein pils, als der achternbusch neben ihm platz nahm und ihm noch eins spendierte, wohl weil er so eine leise deplaziertheit an sich hatte, die alle jene so schätzen, die selber gerne unentwegt aus sich raushüpfen und ihrer zuhörerschaft eine nase drehen mit unausprobierten sätzen, nicht wahr.
riskante sätze, yes.
jedenfalls hat der dem schwitzkas erzählt, wie er einem redaktör des bayrischen fernsehens in den arsch kriecht, weil er an die filmfördermittel herankommen mußte, aber wenn er dann ans ziel gekommen sei, würde er schon wieder sein kunst-leck-mich-am-arsch in überraschend anmutiger weise zur ungestalt werden lassen können.
das aber ist dem gröhLLe schwitzkas auf ewig haften geblieben, weil er in seiner schwitzkasigkeit sich von einer schwelend lauernden arschkriecherveranlagung ausgehöhLLt fühlte, aber jetzt, durch den kunstabgott achternbusch hatte er eine nachhaltige absolution gespürt, von der er heute noch zehrt, da er selber, vom staat indirekt alimentiert, seine frau war eine bayrische beamtin, zum abstrakten maler geworden war. mittlerweile sitzt er in den gremien, die irgendwelche kunstgelder über die felder streuen, wo sich dann die verschiedenen kunstdeplazierten drüber hermachen, um aus der verweigerung, irgendetwas zu produzieren, was auf sie selber rückschlüsse zuließe, selber kunst herzustellen.
die ganzen provinzvernissageleisetreter, welche von der absicht beseelt sind, keine vernissage-sätze von sich zu geben, und die ihre undeodoriertheit für natürlichkeit halten, tauchen auf den schwitzkas-ausstellungen auf, um wie statisten herumzustehen, die nicht wissen, wann der film losgeht, in dem sie keine rolle spielen.




dhonau, 17:56h
=zeit war`s

kunst und provinz   379

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könnte mir vorstellen, wenn man es berufsmäßig oder auch nur des Brotes Willen macht/schreibt, weil man müsste, weil man muß, dann kommt immer diese Verfangenheit mit rum beim Text. Richtig schön ist es, wenn es gekotzt rüberkommt, wenn es rauskommt, weil es selbst raus will, der Füllfederhalter bleibt selbst Statist in diesem Spiel. Es wäre beobachtenswert, ob wer beim Lesen schlingt, später beim Schreiben auch prozentual mehr kotzt.

Ist mir doch egal (entschuldigen Sie die rüde Gangart), was ein Fichte mal zu Papier gebracht hat. Wichtig für mich, was ich davon in Ihrem Text entdecke. Eine Abart der Bewertung: gut ist, wer es bis in meine Hände schafft. The World re-lectorized.

PS: Das macht mich aber nu richtig alle, daß Sie Ihnen der Deutschunterricht in der Schule nicht schon genug war. Mich hat das vollständig aus dem Tritt gebracht. Immer wieder schön auf Ihrer bunten Blumenwiese zu lesen. Da summen und surren die Texte nur so hin und her. Ein wenig wie Live-Fernsehen, wo man zur richtigen Uhrzeit zuschalten muß ;)

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