dhonau: mit heruntergezogenen socken


Sonntag, 10. Mai 2009


sokrates


wenn wir sokrates als den inbegriff des philosophen nehmen, als die verkörperung des typus des philosophen, dann denken wir daran, daß es von ihm keine geschriebene zeile gibt, auch nichts, was überliefert, er hätte jemals eine verfaßt. was aber noch schwerer wiegt, ist, daß es auch keine philosophie gibt, die wir referieren könnten, außer das berühmte diktum: ich weiß, daß ich nichts weiß.
dieser widerspruch in sich hat aber, seien wir doch ehrlich, etwas dürftiges. und aus dieser behauptung, er wisse, daß er nichts wisse, folgt ja sogar, um einer sophistischen logik zu frönen, daß er unendlich viel wisse: denn wer weiß, daß er nichts weiß, der weiß auch, daß er weiß, daß er weiß, daß er nichts weiß ... ad infinitum
spaß beiseite. da sokrates als philosophierender nur über die berühmten dialoge seines schülers platon zu uns kommt, leiten wir seine autorität gerade aus dem umstand ab, er habe es gar nicht nötigt gehabt, sich literarisch zu verewigen, um in nachhaltigster weise in der welt zu bleiben. wenn wir also diese tatsache, sich nicht dem paranoiden gestus des sich aufschreibens zu unterwerfen, als genuin philosophisch werten, dann ist jedes philosophische schriftum ein beitrag zur vulgarisierung der philosophie. in der tat hat jede verbreitung doch auch das ziel, unter die leute zu kommen, während doch sokrates einen esoterischen zirkel bediente, eine geheimgesellschaft gewissermaßen von auserwählten jünglingen. der sprichwörtliche pädagogische eros, der auch auf ihn zurückgeht, hatte also von anfang an immer schon einen päderastischen beigeschmack. die trennung von päderasie und pädagogik, könnte man sagen, ist ein urgrund der universität; deren urform ist bekanntlich die platonische akademie, die ja angeblich tausend jahre überlebt hat.
wenn wir also die sokratische philosophie einmal in dem überlieferten spruch: "ich weiß, daß ich nichts weiß" ansehen wollen, dann sollten wir anfangen, ihn ernst zu nehmen.
als widerspruch in sich ist er interessant. inhaltlich, um es salopp zu sagen, eher eine fast dämliche koketterie. denn daß der als der klügste mensch seiner zeit verschriene mann das sage, kann doch nur daran liegen, daß er allein dieses wort vom wissen in dieser trivialen absolutheit in den mund nehmen dürfe – alle anderen haben doch besser zu schweigen, zumindest in seiner gegenwart.
und da sind wir doch schon bei dem anderen factum, der ihn als philosoph überliefert hat, den platonischen DIALOGEN.
die philosophie sokrates ist danach eine technik, die sich gerade in diesen dialogen erweist, nämlich eine gesprächstechnik, in der der philosoph seine schüler nicht unterrichtet, sondern das wissen seiner schüler durch fragen hervorbringt. daher wird diese technik mäeutisch genannt, hebammenkunst, denn sie hilft ja das wissen der schüler (vor allem auch in seiner unzureichendheit und widersprüchlichkeit, mithin als letztlich falsches) aus seiner latenz zu entbinden. da sokrates überdies tatsächlich der sohn einer hebamme war, gewissermaßen also einer berufs- oder übermutter, erweist sich der philosoph also idealtypisch als berufs- oder übersohn einer übermutter. weltsohn der weltmutter. (im gegensatz etwa zu jesus christus, der der himmlische sohn einer himmlischen mutter ist)
psychologisch ist der philosoph (ebenso wie jesus christus, der doch überall herumerzählte, er sei der sohn gottes) ein nicht unerheblicher psychopath, also jemand der schwerst unter sich zu leiden hat. alle umlaufenden vorurteile über den philosophen haben letztlich auch diesen umstand zum grunde. (auch wenn wir die allgemeine reaktion auf solche menschen: wie man SO ETWAS nur sagen könne, als indiz dafür nehmen, er brauche dringendst ärztliche hilfe)
auch dieser eintrag wird sich nicht ganz davon befreien können, als eine schwere geburt zu erscheinen.

wir, wenn dieser entlastende pluralis maiestatis diesesfalls gestattet sei, bitten daher um allgemeine nachsicht.

zur etwas ernsthafteren philosophischen interpretation des sokratischen nichtwissens etwas später ...

montag, den 11. 5. (ca. 15.00 h)

wenn wir dem ruf sokrates', der klügste mensch seiner zeit zu sein, mit dem diktum, er wisse, daß er nichts weiß, zusammenhalten, dann sind wir im ansatz schon dabei, dieses nichtwissen als einen zustand zu begreifen, an dem sokrates geradezu interessiert gewesen sein muß. wenn ein so kluger mann das wissen (seiner zeit), über das er doch tatsächlich (auch) verfügt, nicht als wissen hingenommen hat, das einer genaueren überprüfung standhält, wenn diese überprüfung ein gemeinsames, dialogisches befragen des eigenen denkens und des mithin immer schon als richtig vorausgesetzten (oft auch unausgesprochenen) wissens darstellt, dann sind wir mitten in der griechischen polis, der politisch organisierten stadt, wo der gemeinsame rat, das besprechen von zur verhandlung stehenden gegenständen mit dem ziel eines gemeinsamen beschlusses sich als das instrument einer gesellschaft erweist, die wir demokratisch nennen. die griechische gesellschaft verläßt mit sokrates explizit und vollends ihr mythologisches denken. nicht umsonst teilt sich die griechisch-antike philosophie in vorsokratiker, sokrates und solche, die ihm folgen. es ist der beginn einer herrschaft, die wir RATIO nennen und die von wissen verlangt, das es zu begründen sei. das, was wir heute diskussion nennen, ist doch nichts anderes, als wissen auf den prüfstand stellen, und wer kennt nicht das verzeifelte resümee, das in jeder diskussion irgendwann einmal fällt, das alles nur zerredet worden sei; das korrespondiert jedenfalls diesem sokratischen nichtwissen, das der in der diskussion geübte auszuhalten in der lage ist.

wir haben in der griechisch-antiken gesellschaft jedenfalls eine, die die polis zur grundlage hat, die politisch organisierte stadt, die eine gesellschaft ist, die auf versammlung, rede und beschlußfassung gebaut ist. es ist daher nicht verwunderlich, das die schulung im reden, die unterweisung in die redekunst, die rhetorik für diese gesellschaft von zentraler bedeutung war. es sind die sophisten auch die ersten redelehrmeister gewesen, und mit ihrem namen war nicht von anfang an das verbunden, was wir heute noch manchmal sophistisch nennen: das reden um des zerredens willen.

ICH WEISS, DASS ICH NICHTS WEISS — markiert also die rationale wende zum zu begründenden wissen. von da an soll nur noch das wissen genannt werden, was einer gemeinsamen überprüfung standhält.




dhonau, 12:03h
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