operation am offenen herzen
der unterschied von technik und techné in einem heutigen diskurs könnte sich so veranschaulichen (lassen): angesichts der sich heute abzeichnenden auswirkungen der modernen risikogesellschaften (vgl. ulrich beck in einem interview der aktuellen SZ), denken wir nicht nur an die atomare technik und die sie betreibende konzernwirtschaft, sondern auch an die explosive mischung unserer ausufernden produkte in der finanzwirtschaft, die ja nicht nur den geldfluß unserer wirtschaften zu lenken und organisieren haben, sondern zugleich den dichten nebel erzeugen, in dem clevere kriegsgewinnler (wenn wir internationale wirtschaft als die fortsetzung des (handels)friedens mit quasi-kriegerischen mitteln ansehen wollen) sich macht und geld beschaffen, dann wird doch eines zunehmend klarer: technik im engeren sinn erzeugt (siehe auch die prosperierende rüstungsindustrie in einem avancierten demokratischen staat wie der bundesrepublik) geld und macht, deren lobbies in abgespaltenen sphären agieren, und eine risikobereitschaft im gefolge haben, das wir seither nur in den casinos dieser welt vermutet hatten. jetzt aber zeigt sich, daß sich bald konkurrierende begriffe von technik und wirtschaft in öffentlich global geführten diskursen herstellen müssen und werden, die anstelle von technik im sinne des üblich technischen knowhows einen begriff etwa von téchne setzen, der fragen etwa des sozialen wie informellen netzes mit einbezieht. (im sinne von einer kunst, das leben in seinen gesellschaftlich-ökonomisch-politischen aspekten zu bewerkstelligen; im gegensatz zu einer reduzierten auffassung von technik, die fragen, probleme isoliert betrachtet und löst. ein runder tisch, an dem ALLE repräsent sind; heute haben die wissenschaften fette reputation, mit denen geld verdient wird oder die das geldverdienen organisieren helfen. die sozialwissenschaften etwa treten auf wie eine bettlerinnung im anklagesound. die germanisten schämen sich, daß sie germanisten sind. die politischen, soziologischen oder auch die kommunikationswissenschaften gelten als laberwissenschaften. usw. mit solchen etikett(ierung)en zum beispiel kompetent umgehen zu können, sollte zum bestandteil jeder ausbildung gehören. berufliches kontextwissen, auch das ist ein hochrelevantes feld, denn es geht um das erlernen von einflußnahme, politisches knowhow. all das deutet an, was zur téchne gehört, wenn wir nicht eine gesellschaft von berufsidioten darstellen wollen.) wir sind jetzt so weit, daß sich einwände in bezug auf die reellen chancen von der umsetzbarkeit solcher politischen programme bald als überflüssig herausstellen werden. denn globalisierung stellt sich zunehmend auch als prozeß heraus, der öffentliche diskussionen über katastrophen-szenarien als universale begleitmusik beinhaltet. die frage also nach der umsetzbarkeit von ganzheitlicherer politik stellt sich nicht mehr auf der theoretischen ebene, sondern gleicht einer operation am offenen herzen. da gibt es kein vertun.
wenn je die chance bestand für einen runden tisch, an dem alle (sprich: ALLE) platz nehmen (werden), ohne daß sie darüber sich irritiert zeigen werden, keinen chefsessel ausfindig machen zu können, dann nur durch die abzeichnung der umfänglichsten aller globalisierungen: der zerstörung der menschenwelt durch die weltmenschen. da braucht es nicht einmal mehr eine moral, die unseren feierlichen reden seit jahrhunderten als grundlage dient. |
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ohne männer (II)
in dem roman sagt die mutter der tochter (=erzählerin) von deren schon verstorbenen vater, also ihrem mann, er hätte sich, da sei sie sich sicher, einmal in eine andere frau verliebt gehabt. wie sich im dem mutter-tochter-gespräch herausstellt, ist der ehemann deswegen keine liaison eingegangen, obwohl diese liebe eine geraume zeit wohl angedauert hat. ("Nein, ich glaube nicht, dass sie Sex hatten.") und daß dieser (ehe)mann keinen sex mit der anderen frau hatte, erklärt sie mit seiner RECHTSCHAFFENHEIT; – eine heute kaum noch gebrauchtes wort. andererseits erklärt sie ihrer tochter, der hauptprotagonistin des romans (aus deren perspektive erzählt wird), warum sie ihr das gesagt habe. sie habe sich nämlich oft gewünscht, ihr mann hätte diese liaison auch sexuell gelebt; auch mit dem wohl erhöhten risiko, ihn ganz zu verlieren. warum sie sich das aber gewünscht hätte, das erklärt sie ihrer tochter nicht. der tochter-erzählerin fällt in diesem zusammenhang (für sich, im inneren monolog) die strophe des shakespeare sonnetts (129) ein, die im vorigen eintrag sowohl im original, wie auch in der deutschen übersetzung des romans auf deutsch wiedergegeben ist, sowie in einer weiteren anderen übertragung ins deutsche zum vergleich. es geht an dieser stelle des buchs um einen verstorbenen ehemann, um eine frau-mann-beziehung einer vorigen generation (siehe den begriff rechtschaffenheit), um eine alte variante von – sagen wir mal – nicht-ausleben des lust-lebens wie auch des nicht-explizit-werdens, denn dieser mann teilt sich ja nicht mit. interessant ist hier für mich die analoge zweifache zurückhaltung des mannes. das läßt sich in zwei fragen einfangen: erstens: muß (darf) man alles ausleben? zweitens: muß man alles erzählen? dahinter verbergen sich auch die fragen nach liebe und wahrhaftigkeit.
zudem habe ich – bewußt – die ganze sache, wenn auch nur zart angedeutet, in eine vage verbindung gebracht mit der aktuellen erdbeben/akw-katastrophe in japan. die japanische gesellschaft wohl ebenso wie die japanische politik sind ja trotz der tatsache, daß das land (s. hiroshima) wie kein anderes unter den folgen atomarer technik zu leiden hatte und vielleicht auch noch hat, den weg in die sogenannte friedliche nutzung der kernphysikalischen TECHNIK mit größter konsequenz gegangen; und auch trotz der tatsache, daß japan eine der am meisten von erdbeben gefährdeten regionen dieser welt ist. seine bevölkerung ist in vielerlei maßnahmen für den eventualfall von erdbebenkatastrophen vorbereitet. (angeführt als ein indiz für das allgemein vorhandene bewußtsein dieses japanspezifischen risikos). wenn wir außerdem die etwas grobe, aber sicher nicht ungerechtfertigte gleichung MÄNNER=TECHNIK aufmachen, dann haben wir einen fragenkomplex, in dem eine ganze moderne welt sich spiegeln läßt. diese sich von dort ableitenden fragen nach der hybris mensch, nach der hybris mann, nach dem lustprinzip, nach selbstbeschränkung, ethik in sozialen kontexten, nach der hybris technik, wie auch das ins spiel bringen eines antik-griechischen verständisses von téchne als einem umfänglichen begriff von einem wissen-wie (gelebt werden soll), der frage auch von was alles möglich ist wie auch der frage nach dem LEBBAREN leben im individuellen wie auch gesellschaftlichen-politischen — alles das verbirgt sich in diesem roman in einer marginalen gespiegeltheit, einer "kleinen" geschichte, in der eine frau ihre "krankheit" lebt, wie vielleicht andere ihrem exzessiven begehren nachleben, sozusagen in einer therapeutisch wie erzählerischen entzogenheit der männerwelt, wenn man so will. im schatten einer modernen männerwelt strandet das so viel wegen der kommunikativen reduziertheit kritisch betrachtete leben unserer vorväter erzählerisch unter dem aspekt der selbstbeschränkung wie eine flaschenbotschaft in unserer zeit an. es zeigt sich, daß untergegangene welten oft nicht so ganz und gar vergangen sind, wie wir das manchmal glauben, daß sie unverhofft wiederkehren – nicht als alte zeit, nostalgisch verklärt, sondern in untergegangenen, aber nicht erledigten aspekten.
übrigens ist hier noch nicht geredet worden über den interessanten wunsch der mutter, ihr mann möge seine mehr oder weniger uneingestanden angebete auch zu seiner geliebten gemacht haben. in diesem ihrem wunsch drückt sich für mich – dialektisch verkehrt sozusagen – die wenn auch von ihr UNGELEBTE hybris frau aus. hybris deswegen, weil hier das spiel mit dem feuer anklingt. und das gilt doch wohl auch: der mensch kommt nicht um die anmaßung, die es bedeutet, ein mensch zu sein, herum. die vielleicht da und dort gewünschte selbstbeschränkung darf nicht zur ideologie werden, die nur regressive antworten auf die gefährdung und gefahr namens mensch zuläßt. ein mensch kann nur durchkommen, wenn er das "DURCH" annimmt, wenn er beherzt sich den gefahren stellt; das heißt natürlich auch, daß es letztlich darum geht, sein lebbares MASS zu "lernen"/ zu finden. in dem wunsch der frau, ihr mann möge sich auch woanders als mann erwiesen haben, verbirgt sich vielleicht auch die sehnsucht, die gefährdungen und die gefahren des lebens nicht auszuklammern, sondern MIT ihnen zu leben, unabhängig davon, wie man sie im einzelnen beantwortet oder ihnen konkret begegnet. |
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