der große alexander ist richtig beunruhigt — wer hätte ihm das zugetraut, dem herrlichsten aller feldherrn, wenn wir nicht wüßten, daß seine reinkarnation eine läuterung darstelle vom rücksichtslosen welteroberer zu einem empathetischen welterklärer, und jetzt natürlich KLUGE heißt:
also noch einmal zum mit- und abschreiben: ALEXANDER, der KLUGE, seines zeichens welterklärer, intellektueller kolonisatör und imperationalist, macht seinem namen nicht nur alle ehre, sondern stellt ihn auch noch in den schatten, sodaß keiner sich je hinreißen ließe, mit diesem seinem namen wortzuspielen — außer vielleicht dhonau, der es nicht gerade wagte, sich einen bruder im geiste zu nennen, gott bewahre vor selbstüberhebung, nein, nein, aber riskieren wir doch eine kleine nähe zum GROSSMEISTER, um eine wenig von seiner heiligkeit zu naschen: dhonau sieht sich immerhin als leidensgenosse in der disponiertheit, immer nur übers kleinste, abwegigste, marginalste zu reden, um von dort sogleich einen bogen zum großenganzen zu spannen.
jetzt haben wir in der heutigen ZEIT einen wunderbaren artikel über den meister und sein neues buch über — griechenland.
in dem gespräch, auf das sich der artikel von ADAM SOBOCZYNSKI bezieht, kommt kluge offenbar schnell zu sprechen auf seine beunruhigung über die aktuellen geschehnisse, denen wir scheinbar nicht mehr angemessen begegnen könnten, es rieche geradezu nach katastrophe und revolution. nun kommt der meister nicht aus den geläufigen beispielen von finanzwelt, atomkraft, klimakatastrophe, arabische revolutionen und dergleichen zu sprechen, sondern, wie der artikel darlegt, auf anekdotische verknüpfungen mit diesen globalen themen.
hier ein zitat:
"Ganz kurios sei die Geschichte eines deutschen Bezirkskommandeurs, der in Griechenland 1941 mit Studienräten und Volksschullehrern Stätten der Erwachsenenbildung zu installieren suchte, um die Griechen wieder zu richtigen Griechen zu machen — hatten doch einst die Goten unter Alarich (die als Ahnen des deutschen Reiches galten) die Ober- und Mittelschicht des Landes vertrieben und einen über Jahrhunderte andauernden Bildungsnotstand herbeigeführt. Noch Teile der Wehrmacht hätten als Besatzungsmacht deutschen Geist und verloren gegangene Antike von oben herab zu versöhnen versucht (während andere Teile in Griechenland die grässlichsten Massaker verübten). [...] Und natürlich, sagt Kluge, sei es nicht ganz frei von Ironie, dass nun abermals ein Deutscher, der EU-Beamte Horst Reichenbach, einem Expertenteam vorstehe, um Verwaltungsreformen zu unterstützen, und damit ebenfalls, wie der Bezirkskommandeur, Erwachsenenbildung betreibe."
"Griechenland" heißt es weiter in dem artikel, "ist für die Deutschen seit je ein Land größter Utopie (Winkelmann, Iphigenie, Sirtaki et cetera) und größter Enttäuschung gewesen, es pendele in ihrem Vortsellungsraum zwischen idealer Antike und verlottertem Balkan, Schlendrian und Chaos."
der autor hatte zuvor den meister charkterisiert als jemand, bei dem man sich darauf einzustellen habe, daß es immer ums ganze geht, "um Weltgeschichte, um verlorene Zeitschichten, die in unsere Gegenwart hineinragen"
ja, da sehen wir, daß es schon seit hundert jahren ein thema ist, griechenland zu retten. und weil es nicht nur zu europa gehört, zum euroland unserer tage, nein, wir haben schließlich unseren (alp)traum von kontinentalem zusammenschluß den (alten) griechen zu verdanken.
der rettungs(schirm)gedanke also hat den humanistisch "formatierten" teil der deutschen offenbar seit je bewegt, vielleicht, weil wir die besseren griechen sind, die ja eigentlich, was staatskunst, finanzwesen etc. anlangt, über die italiener zu uns gekommen sind, deren sozusagen zweite, nach der römischen adaption griechischer kultur rinascimento/renaissance heißt, während die griechische "botschaft" oder die verbreitung des griechentums durch alexander den großen auf die damalige welt hellenismus genannt wird, dessen erfolg auf der klugheit alexanders beruht, den besiegten keine assimilation abzuverlangen etc.
die griechen haben sich an europa übertragen, haben sich darin verzehrt und historisch erschöpft, dann haben sie wie altaristokraten auf die europäischen emporkömmlinge allüberall mit einer mischung aus be-, verwunderung und leiser verächtlichkeit geschaut, wie sie alle rennen und tun, während doch der grieche niemals in gebückter haltung irgendwelchen touristen hinterherhechelt, weil der kunde könig ist, bestimmt nicht! höchstens, daß sie den mitteleuropäischen frauen zum urlaub von ihren emanzipatorischen anstrengungen verhelfen oder -halfen, in dem sie ihnen noch ein wenig machismo, den sie ihren eigenen männern ausgetrieben haben, zur verfügung stell(t)en. das heißt doch, wenn wir uns diese kritische zuspitzung gestatten, daß hier schon eine gewisse restaurative energie am werk war. während unsere in der verfassung verbriefte menschenwürde in griechenland vor allem eine männliche farbe hat, ist sie in den erfolgreichen volkswirtschaften, soweit sie gestalt gewonnen hat, vor allem auch eine, die auf dem recht von arbeitnehmern zur organisation beruht und dem schutz vor erniedrigenden arbeitsbedingungen.
alle europäischen staaten leben auf pump, der über die finanzmarktmechanismen an die allgemeinheit übertragen wird. während einzelne volkswirtschaften das bislang wegstecken konnten, stellt sich heraus, daß unsere wettbewerbsorientierten sozialen marktwirtschaften nicht nur ihre verlierer zu alimentieren haben, sondern auch die staaten, die im wettbewerb der volkswirtschaften verlierer darstellen.
daraus folgt, daß die gesellschaften sich mit dem kapitalistisch grundierten begriff des wettbewerbs auseinanderzusetzen haben. darum werden sie nicht drumherumkommen, garantiert nicht.
nachtrag vom 25. 9.:
natürlich werden im rahmen einer solchen allgemein gestellten frage antworten parat stehen, die sehr vorhersehbar ausfallen werden ... , ja, aber wer weiß, wer weiß ...?
wenn wir uns nicht nur reflexhaft zum begriff des wettbewerbs (je nach weltanschauung) in position stellen wollen, erscheint dieser doch zunächst auch als das natürlichste, das vitalisierende oder jedenfalls dynamisierende element im sozialen schlechthin, während wir mit dem sozialen doch ansonsten im herrschenden sprachgebrauch hilfe, unterstützung, miteinander und dergleichen verstehen. bei etwas längerem nachdenken sehen wir alsogleich, daß die entfaltung des begriffs des sozialen aus der gegensätzlichkeit, die ihm offensichtlich innewohnt, seinen sinn offenlegt, uns über die engeren beziehungen der familie und des "stammes" in größere formate menschlicher gemeinschaft einzubeziehen, die uns ins sogenannt gesellschaftliche tragen. ein mensch wird erst mensch, wenn er auch außerhalb der familie eine präsenz entwickeln kann: im politisch-öffentlich-gesellschaftlichen raum (als wähler, bürger, teilnehmer und organisator von öffentlichen ereignissen, als käufer und – womöglich organiserter – arbeitnehmer etc.) man könnte soziale auch übersetzen in den begriff der medialen kompetenz, die einen menschen heute zum teilhabefähigen gesellschaftswesen werden läßt; dabei wäre nicht nur von den medien im engeren sinn die rede, sondern von allem, was unterschiede und gemeinsamkeit in einer gesellschaft herstellt. wer sich von anderen nicht unterscheidet, wird mit ihnen keine gemeinschaft herstellen können, der ist nicht vertrags-, nicht kompromiß-, nicht, freundschafts-, nicht beziehungsfähig. wer angst haben muß in beziehungen zu verschwinden, wird sie nicht so ohne weiteres eingehen – es sei denn, er oder sie ist darauf geeicht zu verschwinden, auf minimalpräsenz
so gestalten sich die jahrhunderte in die herausbildung immer größerer formate bis schließlich über uns dies große allumspannende netz geworfen ist, an dem doch jeder zugleich auch anfängt mitzuspinnen.
da ist auch schon der hochinteressante punkt des umschlagens vom passiv zu aktiv und umgekehrt avisiert.
wenn wettbewerb eine form der komplexitätsreduzierung darstellt, vereinfachender spielregeln, die darüber entscheiden, wer gewinner und wer verlierer ist, so wird in dem maße, wieviele menschen dieser wettbewerb miteinschließen kann, die relativität dieses spiels schnell auch vergessen sein, ja, im extremen zum absolutum werden.
der wettbewerb um die aufmerksamkeit, der aus menschen kunden oder käufer werden läßt, ist tatsächlich ein solches absolutum geworden. da kommen wir dann schnell dahinter, daß mit der semmel nicht nur das brötchen verkauft wird, sondern sich mithin ein austausch organsiert, der mehr ist, als der wechsel zwischen gebrauchten gegenständen und geld. der maßstab, den solche (waren)verkehrsformen etablieren, nimmt eine allgemeinheit an, eine allgemeingültigkeit, daß menschen, die in diesen wettbewerben schlecht aussehen, ihr selbstwertgefühl einbüßen. sie fangen an sich zu schämen, ein schamleben zu führen, die gesichtslosigkeit geradezu zu suchen, während doch jeder wettbewerb genau das gegenteil verlangt: brust raus, kopf hoch sopzusagen — aber schamleben bringen menschen hervor, die nicht hinausgehen ins gesellschaftliche, sondern in familiären beziehungen reduzieren, eindicken, mufflig werden, krummbucklig, gesenkten blickes durch die gegend laufen.
es kann nicht der sinn sein, daß ein mensch an wettbewerben teilnimmt, für die er nicht disponiert ist. stellen Sie, liebe leserInnen, einmal vor, Sie kommen auf eine tagung der weitspringer dieser welt: ihr direkt oder indirekt kommunizierter wert hängt aller voraussicht nach davon ab, wie weit Sie persönlich springen können. wenn Ihre fähigkeit eher darin läge, hochzuspringen, werden Sie vermutlich, da Sie, wenn Sie sich ins spiel bringen wollen, vermutlich mit Ihrer hochspringerei nicht durchkommen. schnell werden Sie erleben, daß wettbewerb immer auch von interpretationskämpfen begleitet ist. womöglich wird man ihre neigung, hochzuspringen, als vermeidungsverhalten auslegen. es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß Sie bald anfangen, ihre hochspringerei ins weite zu ziehen, bis Sie ein erstes lob erhalten, das ein generöser sieger der weitspringergesellschaft Ihnen gewährt, obwohl ihr sprung nach dem maßstab der weite doch eher kümmerlich ausgefallen war. Sie fangen an, um aufnahme zu betteln durch dieses Ihr verhalten. die erste aufmerksamkeit, die Ihnen entgegenplätschert, macht Sie disponiert, es wird mit Ihnen ein neuer aspirant für einen verlierer eingeführt in die mächtige lobby ein weitsprungdisponierten gesellschaft.
setzen Sie dagegen etwas, für das Sie disponiert sind, auch wenn das wenig applaus in den großen arenen dieser welt bringt, fangen Sie an zu lernen, allein sein zu können, bis Sie aus der schwerkraft Ihres selbstverständlichen tuns bei einzelnen anderen Interesse wecken. aus Ihrer hochspringerdisposition haben Sie plötzlich ein spiel entwickelt, das Ihnen womöglich die freude zeitigt, die welt aus den verschiedensten höhenlagen zu betrachten etc. etc. Sie lernen, Ihre eigene währung zu setzen, Ihre themen ins spiel zu bringen, – und nicht nach den regeln einer, um beim beispiel zu bleiben, weitsprungdisponierten welt zu tanzen, Sie lernen, die aufmerksamkeit von blicken zu entbehren, die nur sinn fürs weite haben. das himmelhochjauchzende (und wird von Ihnen und Ihren mitbewerbern im hochsprungalltag in den sinn für viele brauchbaren höhenlage übersetzt werden
was hat abramczik, was hat er mit dem letzten, man muß schon sagen, ziemlich überladenen dhonau-beitrag, diesem hybriden gebilde, zu tun?
nichts.
diese überladenheit, das ist nicht allein das dhonau-problem. der kasus knaxus ist der mensch:
der mensch fürchtet die grausamkeit der natur und begeht grausamkeiten von roh gewalttätig bis subtil pyschotechnisch. und er transponiert das grausame der wildesten naturgewalt ins informell-geistige und sie ins unkenntliche. und dort, wo die grausamkeit sich vor dem mensch selbst verbirgt, dort schlägt sie umso ungehinderter durch. ein modell dieser grausamkeit ist der mörder, den seine umgebung bis dato nur als treusorgenden familienvater kannte etc.
kein wesen fühlt sich so zuständig für die ganze welt wie der mensch. der mensch leidet in der winner-gesellschaft für die looser, ist lobby für die bemitleidenswerten und gelangt so zu REPUTATION.
grausam ist das.
ja, eine seiner größten raffiniertheiten ist es, einen gott erfunden zu haben, der für uns eine abspaltung schizophrener göttlichkeit als SOHN auf die welt gesandt hat, um alles leid auf sich zu nehmen, — und also weilet nun unter uns menschen ein hybrid aus mensch und gott, ein unbestimmbares zwitterwesen, das einen kontrast darstellt zu unseren begriffen, die auf schärfe und genauigkeit gestellt sind und uns doch immer wieder in dem allgemeinen diskurswirr ins chaotische zu entgleiten drohen.
es ist also, meint dhonau, doch sehr einsichtig, daß wir uns das thema mensch auf eine distanz bringen, die das DRAMA mensch in prosa übersetzt. natürlich geht dabei temperatur flöten. alles gerät ein wenig ins wissenschaftlich klinische, sodaß wir uns wie ein arzt, der alles leid so ins sachliche heruntergekühlt, als wäre er selber ein gott, aber nicht wie der gottessohn ein mitfühler, sondern wie ein richtiger gott eben, einer, der über allem schwebt, der in nichts involviert ist, dem jeder mensch gleich gilt, und darum kommt dieser unser gott auch so gleichgültig rüber. ein anderes wort für gleichgültigkeit aber ist souveränität. souveränität freilich istz niochts zum lachen, denn wenn der souveräne sich heiter gestimmt zeigt, dann kommt er gern ins joviale, ins gönnerhafte (von oben herab), ins betont nachsichtige, das aber steht doch nur einem richtigen (=coolen) gott zu, und in der tat kommt der begriff des jovialen von iovis, das ist das lateinische wort für den großen gott jupiter. quod liquet iovis non liquet bovis. = was dem jupiter erlaubt ist, ist dem ochsen noch lange nicht erlaubt – so geht das sprichwort wir sehen diese erfindungen des menschen, die geschichten, die in unzähligen schichten (der mythologischen überlieferung) in unsere gegenwart aus langer vorzeit in unsere gegenwart hineinreicht, kündet von diesem großen gegensatz des souverän-autonomen in nichts involvierten (neurosenfreien) herrschers und dem in alles verstrickten, leidversessenen, neurotisch bewegten mitfühlers.
dieser gegensatz markiert das soziale feld, das unsere gattung als eine solche hervorbringt.
darum ist es wichtig, ein sensorium, eine technik, ein knowhow zu entwickeln, das die temperaturen zu regeln hilft, um uns für dieses soziale klima ein wenig wetterfest zu machen
ach ja, abramczik ist einer wie du und ich, manchmal schimmert das göttliche durch ihn hindurch und manchmal auch das erbärmliche. abramczik ist überall und nirgendwo. es gibt ihn —
ein halber, also richtiger freund und eine halbe, also richtige kunst
vor ca. 30 jahren, noch gar nicht an dhonau, den bloggerianer, zu denken, hatte ich einen halben, also richtigen freund, der war ein bißchen nebenbei germanistik-student, also ein richtiger, und konnte seine leise verzweiflung über sich und die welt und seine immer schweißnassen hände mit diesem germanistik-scheiß, wie er und alle anderen germanistik-studenten es empfanden, in eine verzweifelt angemessene form gießen. germanistik zu studieren war einfach scheiße. und dieser nicht besonders, sondern eher normal verweifelte freund und germanistik-student hockte in seiner studenten-bude in schwabing, einem künstlerviertel, in dem alles vorkam, nur keine kunst, und las am liebsten literatur, die nicht in der verzweiflung verharrte, sondern sich aus ihr hindurch- und herausschrieb. sein lieblingsdichter war hubert fichte, und genau auf den bin ich heute durch zufall, den es ja angeblich nicht gibt, gestoßen. ich habe noch ein paar exemplare von "sprache im technischen zeitalter" aus den 1980ern, einem literaturmagazin des LITERARISCHEN COLLOQUIUMs (berlin). in einem der hefte (104; 1987) fand ich ein interview mit hubert fichte, damals eines der heißen eisen der deutschen literatur. d. h. natürlich zugleich: einem größeren publikum nicht bekannt. und nun stellen Sie sich einmal vor, da, in diesem interview, berichtet der dichter davon, daß er seine romane, die natürlich nicht so sind, wie romane landläufig zu sein haben, mit zetteln vorbereitet, abertausenden, die er an die wand nagelt, regelrecht nagelt. 1967 sei er aus seiner wohnung aus diesem grund herausgeklagt worden. zwar habe der hausbesitzer den prozeß gewonnen, aber während des langen prozesses sei er pleite gegangen. ein neuer besitzer sei ins haus gezogen. doch bevor es dann zu einem zweiten prozeß gekommen sei wegen seiner notorischen romannagelei, habe der neue besitzer sich an diese unbill gewöhnt. dessen moderaten ansinnen aber, bei seinen zettelaktionen doch wenigstens filz oder irgendein isoliermaterial zu verwenden, habe er einfach nicht entsprechen können, er würde nur heute etwas leiser nageln.
DAS ist literatur. alles andere käse.
davon war mein germanistischer halbfreund überzeugt, ohne es zu wissen, denn er war von seinen eigenen schwitzereien derart beeinträchtigt, daß er dachte, bei all den herrenweibern keinen stich machen zu können, die unser gemeinsamer freund BALAN so nannte, die über ihn hinwegsahen
ich, der ich heute hier als dhonau firmiere, stimmte ihm zu, obwohl ich außer ein paar sätzen nichts von fichte gelesen hatte. diese paar sätze aber und die geschichte über einen halben, also richtigen freund ergeben zusammen (formelhaft) das, was ich reale lektüre nennen würde. zu dieser auffassung von lektüre gehört unabdingbar ein grad an unvollständigkeit und – eine geschichte dieser so oder so sich manifestiert habenden unvollständigkeit (eines nicht zuendelesens oder einer flüchtigen oder überspringenden oder ständig unterbrochenen aufmerksamkeit etc.) alle lesen irgendetwas in dieser oder jener weise, das kann auch erzählt werden, auf immer neue weise. das bibliophile gehabe des bildungsbürgers kann einem ja auch mächtig auf den zeiger gehen, nicht wahr?
andererseits ist ja der schwitzkas, wie er später genannt wurde, schwitzkas gröhLLe, in ein schwabinger halb berühmtes, also richtig berühmtes lokal gegangen und hat sich, nachdem er an dem türsteher vorbeigekommen ist, oder sagen wir: sich vorbeigeschwitzt hat mit seinem immer ein wenig zur seite geneigten kopf, als wollte er den watschen, von denen er geglaubt, sie gälten ihm, ein wenig durch deren antizipation die schärfe nehmen, an den tresen gepflanzt gehabt, um der angekündigten kunstaktion des HEINZ BRAUN beizuwohnen, der eigentlich postbote war und erfolgloser maler, aber als hauptdarsteller in den achternbuschfilmen mittlerweile bekannt geworden war und den denkwürdigen satz in einem dieser filme wie eine fahne in den wind gehoben hatte, der da lautete, auf die anwerfung eine oberbayrischen kellnerin hin, ihm stünde er doch gar nicht mehr: "oh doch!" seither war der schwitzkas, mittlerweile der hinterletzte aller germanistikstudenten, ein lautloser anhänger aller achternbusch-kunst-eskapaden geworden. der achternbusch war der erste aktör gewesen von den kleinbürgerlich-bürgerlichen-zukurzgekommenen, nichtsdestotrotz oder überhaupt zum trotz lustaffinen landpiraten, nicht wie die raf-trotteln, die aus ihrer verwahrlostheit eine utopie machen wollten. und auf eben jener heinz-braun-kunstaktion haben sie einen stier ins szene-lokal geschleppt, der dann die tanzfläche vollgeschissen hat mit seinen riesenpflatschfladen. der gröhLLE also saß am tresen und schlürfte ein pils, als der achternbusch neben ihm platz nahm und ihm noch eins spendierte, wohl weil er so eine leise deplaziertheit an sich hatte, die alle jene so schätzen, die selber gerne unentwegt aus sich raushüpfen und ihrer zuhörerschaft eine nase drehen mit unausprobierten sätzen, nicht wahr. riskante sätze, yes. jedenfalls hat der dem schwitzkas erzählt, wie er einem redaktör des bayrischen fernsehens in den arsch kriecht, weil er an die filmfördermittel herankommen mußte, aber wenn er dann ans ziel gekommen sei, würde er schon wieder sein kunst-leck-mich-am-arsch in überraschend anmutiger weise zur ungestalt werden lassen können. das aber ist dem gröhLLe schwitzkas auf ewig haften geblieben, weil er in seiner schwitzkasigkeit sich von einer schwelend lauernden arschkriecherveranlagung ausgehöhLLt fühlte, aber jetzt, durch den kunstabgott achternbusch hatte er eine nachhaltige absolution gespürt, von der er heute noch zehrt, da er selber, vom staat indirekt alimentiert, seine frau war eine bayrische beamtin, zum abstrakten maler geworden war. mittlerweile sitzt er in den gremien, die irgendwelche kunstgelder über die felder streuen, wo sich dann die verschiedenen kunstdeplazierten drüber hermachen, um aus der verweigerung, irgendetwas zu produzieren, was auf sie selber rückschlüsse zuließe, selber kunst herzustellen. die ganzen provinzvernissageleisetreter, welche von der absicht beseelt sind, keine vernissage-sätze von sich zu geben, und die ihre undeodoriertheit für natürlichkeit halten, tauchen auf den schwitzkas-ausstellungen auf, um wie statisten herumzustehen, die nicht wissen, wann der film losgeht, in dem sie keine rolle spielen.
wenn wir nochmals in den zusammenhängen der letzten einträge auf das thema INDIVIDUUM zu sprechen kommen, dann geht es auf der höhe (und den untiefen) unserer zeit ja nicht nur um die unverwechselbarkeit, die einzigartigkeit und die gar nicht einmal so oft beschworene kostbarkeit des EINZELNEN (gott liebt auch dich und deine krumme zehen), sondern auch um soziale präsenz, wirkkraft, autorität, karismatische potenz, also eben auch um einen überschuß über die landläufigen erklärungsmöglichkeiten hinaus, schlicht um — MAGIE:
mit all diesen begriffen aber haben wir die sphäre des ver-EINZEL-ten, des insularischen, verlassen. es geht um den einzelnen in seiner wechselwirkenden bezogenheit auf andere
niemand ist nur durch sich das, was er ist. er ist schon immer aufgetaucht aus sozialen sphären in diese seine kenntlichkeit hinein, er soll von nun an der AUTOR seiner vielfältigen äußerungen sein, aber auch jederzeit belangbar für das, was dieser autorenschaft zugeordnet ist. daher ist ein soziales immer auch ein rechtswesen. schon deswegen ist klar, warum viele auch davor zurückschrecken, sich bis zur kenntlichkeit zu entfalten.
wenn es aber so ist, daß niemand nur allein durch sich selbst das ist, was er ist, dann fängt er an (auch) das zu werden, als was er gilt.
wenn dem aber so ist, dann ist etwa die aussage, man schätze jemanden um seiner selbst willen, von vorneherein problematisch. wir sagen: keiner ist durch sich allein irgendetwas.
dennoch kann eine liebeserklärung, der ja immer zugrundeliegt, man sei von jemanden so betört, daß man gar nicht mehr in nutz und interessiertheit denken könnte, durchaus ihren sinn haben. wir sind dann aber im bereich der oben angesprochenen charismatischen wirkfelder, einer magie, die begrifflich den boden des INDIVIDUELLEN in seiner absolutheit in frage stellt. aber dieser begriff beansprucht ja implizit gerade so etwas wie autonomie, unabhängigkeit, bedingungslosigkeit. ein mensch, jedenfalls einer, der sich bis zu seiner wirkmächtigkeit entfaltet hat, spielt über seine individualität in energetischen geschehnisse hinein, die seine autorenschaft in gewissen bereichen doch sehr in frage stellen. so würden wir bei manchen sätzen, die einem mensch entfleuchen gerne wissen, wer oder was da aus ihm gesprochen hat, nicht wahr?